Was machen probiotische Stämme im Darm genau?

Veröffentlicht am: 07.08.2023

Artenvielfalt - nur in der Natur oder auch im menschlichen Körper? 
Mit der Klimakrise ist es uns eindringlich bewusst geworden, dass wir in Abhängigkeit von anderen Organismen leben und unser Wohl mit dem Wohlergehen von Pflanzen und Tieren verknüpft ist. Artenvielfalt ist hier das Stichwort. Aber auch in unserem eigenen Körper ist Artenvielfalt angesagt: Bereits im ersten Stuhl des Neugeborenen können Kleinstlebewesen
(Mikrobiota) nachgewiesen werden. Anschließend erfolgt in der Kindheit und Jugend erfolgt dann eine rasante Besiedlung des Verdauungstraktes mit einer Vielfalt an Bakterien, Pilzen, Viren, Protozoen, Archaeen und anderen Kleinstlebewesen. 



Die Summe dieser Darmbewohner wird als Mikrobiom des Darmes bezeichnet. Beim Menschen besiedeln mehrere Billionen Mikrobiota den Darm, wir sind also „Mikrobenbillionäre“. Zudem hat jeder Mensch sein individuell zusammengesetztes Mikrobiom. Untersuchungen haben gezeigt, dass Mikrobiome bei bestimmten Erkrankungen in charakteristischer Weise verändert sind. Ganz offensichtlich ist das bei Durchfallerkrankungen und Darmentzündungen, wo pathogene (also krankmachende) Mikroben ihr Unwesen treiben.



Probiotika bei schwerwiegenden Erkrankungen 
Unser Darmmikrobiom wartet jedoch auch mit einer Fülle von Mikroben auf, die Schutzfaktoren vor Erkrankungen sind. Diese Mikroben bezeichnet man als Probiotika. Sie verschaffen uns gesundheitliche Vorteile.

Probiotische Mikroorganismen helfen nachweisbar auch bei
schwerwiegenden Erkrankungen. Das konnte die medizinische Forschung schon vor Jahren bei der Antibiotika-induzierten (pseudomembranösen) Colitis zeigen. So lesen wir in jedem Beipackzettel eines Antibiotikums von dieser möglichen Nebenwirkung, wenn da etwa steht: „Konsultieren Sie Ihre ÄrztIn sofort bei schweren, blutigen und anhaltenden Durchfällen!“ Colitis wird durch den Keim Clostridioides (früher: Clostridium) difficile verursacht, der gegen die meisten Antibiotika unempfindlich ist und sich im Darm schlagartig vermehrt, wenn die „guten“ Bakterien unseres Darmmikrobioms durch diese Antibiotika geschädigt werden. Die Erkrankung ist schwer, hat eine hohe Sterblichkeitsrate und tritt bei Patientinnen und Patienten, die sie einmal hatten, immer wieder auf (=rezidiviert).


Bei Colitis besteht heute die Möglichkeit, den betroffenen Patientinnen und Patienten das Mikrobiom eines/r gesunden Spenders/in zu „transplantieren“. Man bezeichnet dies als Stuhltransplantation oder fäkalen Mikrobiota-Transfer (FMT) beziehungsweise fäkalen Mikrobiomtransfer. In früheren Anwendungen wurde dabei Stuhl gesunder Spenderinnen und Spender mit physiologischer Kochsalzlösung aufgemischt, gefiltert und den Patientinnen und Patienten über eine Sonde in den Darm verabreicht. Indessen wird das probiotisch wirksame Mikrobiom heute nach sorgfältiger Reinigung und Testung mit Kapseln verabreicht. Die Methode mag in ihrem Ansatz nicht sehr appetitlich klingen, aber der durchschlagende – oft lebensrettende – Erfolg gibt ihr recht: So hat sie eine Erfolgsrate von rund 90%. Bei der althergebrachten Eradikationstherapie, bei welcher man mit spezifischen Antibiotika den Keim bekämpfte betrug sie nur 35%.2,3


Versteckte Talente der probiotischen Stämme 
Die FMT ist ein typisches Beispiel einer wichtigen Funktion der probiotischen Anteile unseres Mikrobioms, nämlich im Darm das Überwachsen mit krankmachenden Keimen zu verhindern, ähnlich wie eine Mischkultur im Biogarten das Überwachsen mit Unkraut verhindert. Darüber hinaus leisten Probiotika unseres Mikrobioms noch viel mehr: Bestimmte probiotische Stämme können unser Immunsystem positiv beeinflussen und allergische Reaktionen und Entzündungsreaktionen modulieren. Unterdessen bilden andere Probiotika Stoffwechselprodukte, welche die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten verstärken oder die Bildung körpereigener Hormone anregen, welche das Sättigungsgefühl steigern und den Blutzuckerspiegel senken. Demzugfolge wären mögliche Einsatzgebiete von Probiotika Autoimmunerkrankungen, Krebserkrankungen, Diabetes und Adipositas. Diese Anwendungsgebiete befinden sich allesamt in unterschiedlichen Stadien der klinischen Forschung, wobei es sich abzeichnet, dass vermutlich nicht ein probiotischer Stamm, sondern mehrere zum Einsatz kommen müssen, um das Therapieziel zu erreichen.
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Author: Univ.Doz. Dr. Herbert Anton Wurzer Gastroenterologie und Hepatologie

 

 


Referenzen:

[1] Lynch SV, Pedersen O. The Human Intestinal Microbiome in Health and Disease. N Engl J Med 2016; 375(24): 2369-79.">https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2021.6377

[2] Khoruts A, Staley C, Sadowsky MJ. Faecal microbiota transplantation for Clostridioides difficile: mechanisms and pharmacology. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2021; 18(1): 67-80.

[3] Rapoport EA, Baig M, Puli SR. Adverse events in fecal microbiota transplantation: a systematic review and meta-analysis. Ann Gastroenterol 2022; 35(2): 150-63.


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